In der Schule läuft nicht immer alles rund. Die Eltern müssen Mißstände nicht stillschweigend hinnehmen. Sie können ihre eigene Stimme laut werden lassen und ihre Vorstellungen vermitteln, wie ihrer Meinung nach Schule funktionieren sollte. Zu diesem Zweck gibt es als Sprachrohr den Landesrat der Eltern Brandenburg.
Ihr Vorsitzender ist Wolfgang Seelbach. Er stand uns in den Ferien zur Verfügung, um drängende Frage zum Schulsystem zu beantworten.
Was ist das eigentlich, der Landesrat der Eltern Brandenburg?
Wir sind die im Schulgesetz verankerte Landeselternvertretung von Brandenburg.
Wir vertreten schulische Interessen der Eltern in der Öffentlichkeit, arbeiten mit den Kreiselternräten zusammen und stehen auch in regelmäßigem Kontakt mit dem Ministerium. Unter anderem arbeiten wir bei folgenden Gremien und Initiativen aktiv mit: dem Landesschulbeirat, dem Bundeselternrat, dem Runden Tisch Inklusion, dem Landesjugendhilfeausschuss, dem Projektbeirat der AWO „Inklusion ja – aber richtig!“ und der Elternuni.
Jeder Kreiselternrat wählt je zwei stimmberechtigte Mitglieder in den Landeselternrat, der hat also 36 Mitglieder. Freie Schulen sind beratend vertreten.
Mehr ist auf unserer Homepage zu erfahren: www.landesrat-der-eltern-brandenburg.de/home/über-uns/
Nach dem Abitur wissen die meisten Schüler nicht, was sie beruflich einmal werden möchten oder was sie studieren wollen. Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, um die Schule so zu wandeln, dass sie wieder mehr Interessen weckt und Ideen für den späteren Werdegang vermittelt?
Hier könnten viele Gymnasien noch von den Gesamt- und Oberschulen lernen: Mehr Praktika und Unterricht außer Haus, aber auch weg vom Pauken von Lehrbuchwissen und hin zu mehr praktischen Anwendungen. Das kann im normalen Unterricht und – noch besser – in Projekten realisiert werden. Das Kennenlernen der eigenen Fähigkeiten, der Stärken und Schwächen („Kompetenzen“) ist Grundvoraussetzung für eine sinnvolle berufliche Entscheidung. Das muss stärker in den Unterricht, insbesondere in die Phasen des selbständigen und kooperativen Lernens, eingebaut werden. Wenn die Lehrkraft in Zukunft weniger „doziert“, hat sie auch die Zeit, sich um den Kompetenzstand der einzelnen Schülerinnen und Schüler zu kümmern. Das Zeugnis der Zukunft wird nicht nur Schulnoten enthalten, sondern auch die Beschreibung dessen, was Schüler können.
Beispiel für Kompetenzniveaus: Kann der Schüler konstruktiv in einer Arbeitsgruppe mitarbeiten oder sie sogar leiten? Oder kann er nur auf Anweisung hin tätig werden? Das wird hoffentlich in naher Zukunft auch im Zeugnis stehen und damit wird sich auch der Unterricht mehr an den Bedürfnissen des Berufslebens ausrichten.
Selbstverständlich sind die beruflichen Kompetenztest- und Beratungsangebote der Agentur für Arbeit und der Berufsinformationszentren möglichst von allen Schülern zu durchlaufen, auch von denjenigen, die studieren wollen. „komm on tour“ sollte weiterhin den Schulen zur Verfügung stehen.
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Das Abitur in 12 Jahren stresst die Schüler sehr. Viele Schüler wiederholen freiwillig ein ganzes Jahr, um bessere Noten zu bekommen, gehen ab auf eine Gesamtschule oder geben ganz auf. Andere schieben ein Auslandsjahr dazwischen. Ist das Experiment gescheitert?
Es gibt eine relevante Anzahl von Schülern, für die das Abi in 12 Jahren geeignet ist. Deshalb würde ich hier nicht von „gescheitert“ reden. Aber durch die Umstellung der Oberstufe von 3 auf 2 Jahre wurde eine Schwäche des Brandenburger Schulsystems deutlich. Viele Grundschulabsolventen meiden die Oberschule, weil sie sich nicht frühzeitig für die Berufsbildung und gegen das Studium entscheiden wollen. Dadurch landen viele Schüler an den Gymnasien, die vermutlich an einer Gesamtschule besser aufgehoben wären.
Der damalige Landeselternrat hatte schon 2005 vor der weitgehenden Abschaffung der Gesamtschulen gewarnt. Seit mehreren Jahren sind die Gesamtschulen dort, wo sie noch vorhanden sind, übernachgefragt.
Wir fordern deshalb, dass das Gesamtschulangebot an den Bedarf angepasst, also verbessert wird. Der Plan, die bestehenden Oberschulen zu reformieren, indem Vertiefungszüge eingerichtet werden, ist auch ein Weg in die richtige Richtung. Viele Eltern wissen ja gar nicht, dass man in den beruflichen Schulen auch Abitur machen kann. Wenn die Oberschulen entsprechend darauf vorbereiten, wäre das auch eine Lösung, allerdings mit dem Nachteil mehrerer Schulwechsel.
In einigen Kommunen entstehen Schulzentren, die eine Schule von 1-10 bzw. 1-13 unter einem Dach anbieten. Das hat viele Vorteile, denn die Übergänge sind harmonischer und die Vertretungen funktionieren besser. Sekundarschullehrer können von Grundschullehrerinnen lernen und umgekehrt. Die sozialen Verhältnisse innerhalb der Schülerschaft sind stabiler, die Älteren fühlen sich für die Jüngeren verantwortlich. Schulsozialarbeiter lohnen sich bei einem solchen Schulzentrum mehr und kommen der ganzen Schülerschaft zu Gute. Deshalb betrachten wir das wohlwollend. Allerdings setzt das voraus, dass das Gesamtgebilde funktioniert und die Atmosphäre gewaltfrei ist.
So viel Stoff, der gelernt werden muss. Trotzdem fehlen Lehrer, krankheitsbedingt oft sogar für lange Zeit. Manche Schulen geben dann „Vertiefungsaufgaben“, oft fallen die Ausfälle so gar nicht auf. Wenn schon ein Zentralabitur geschrieben wird: Muss man dann nicht für gleiche Bedingungen sorgen? Wie soll jemand ein Chemie-Abitur überstehen, wenn er manchmal ein Jahr lang keinen Chemie-Unterricht hatte?
Das sind ja gleich drei Fragen:
Lehrer, die langfristig ausfallen, werden ersetzt, das klappt in der Regel ganz gut. Allerdings dauert es viel zu lang, bis ein Vertretungslehrer mit befristetem Vertag eingestellt wird. Außerdem fehlen Lehrkräfte häufig nur ein oder zwei Wochen. Deshalb soll das neu eingerichtete Vertretungsbudget kurzfristig innerhalb von 2 Tagen greifen. Aus einer vorhandenen und mit dem Personalrat abgestimmten Liste werden dann pensionierte Lehrkräfte, Bachelor-Studenten u.a. eingesetzt. Das System zeigt erste Erfolge, hat jedoch noch seine Kinderkrankheiten, könnte aber an vielen Schulen diese Lücke füllen. Unabhängig davon fordern wir eine weitere Erhöhung der Vertretungsreserve auf 6% (derzeit 4,5%).
Die Vertiefungsaufgaben sind an sich ein gutes Konzept, das für ungefähr die Hälfte der Vertretungsstunden greift. Leider findet an vielen Schulen eine reine Selbstorganisation ohne Lehrkraft statt („Stillbeschäftigung“), die die Statistik verfälscht. In der Zeit, als ich Schulelternsprecher war, konnten wir solche Konflikte immer einvernehmlich lösen.
Das „Zentralabi“ (mit Berlin) wurde ja schon nach Protesten von uns und Schülern insbesondere aus Oranienburg aufgeweicht. Es betrifft allerdings nicht Chemie, sondern die Hauptfächer Deutsch, Mathe und 1. Fremdsprache (Englisch). Wir hoffen, dass die Anpassung der Aufgaben an die länderspezifischen Bedingungen noch besser wird. In Mathe gab es in diesem Jahr eine Aufgabe, die nach Einschätzung von Lehrkräften dem Brandenburger Rahmenplan nicht ausreichend angepasst war. Ich habe mir das angeschaut und kann die Kritik nachvollziehen. Ich gehe davon aus, dass das Ministerium den Sachverhalt prüft, nachdem ich in der Presse dazu Stellung genommen hatte.
Mitunter klagen Schüler, dass in Klausuren und Tests Stoff abgefragt wird, der im Unterricht noch gar nicht drangekommen ist oder nur kurz gestriffen wurde. Müssen die Schüler sich darauf einstellen, den Stoff zunehmend selbst in Eigenleistung und in ihrer Freizeit zu erarbeiten?
Diese Klagen höre ich vor allem von Gymnasien. Wir brauchen mehr Ganztagsschulen, die im Mittagsband oder nachmittags Hausaufgabenbetreuung anbieten. Phasen angestrengten Lernens sollten sich mit Entspannungsphasen abwechseln (Rhythmisierung). Damit kann auch der Nachmittag gut für intensive Vorbereitung der Klassenarbeiten genutzt werden.
Leider ist in Brandenburg Ganztag an Gymnasien nicht vorgesehen. In Falkensee haben wir auch deshalb eine mit 170% total übernachgefragte Kantschule und drei bis vier Gymnasien in der Umgebung, die nicht alle ausreichend angewählt werden.
Mitunter hören wir vom Schüler-Mobbing: Lehrer sagen ihren Schülern offen, dass sie „zu doof fürs Abi“ sind oder dass aus ihnen sowieso nichts wird. Was können Schüler hier eigentlich unternehmen?
Sofort beim Klassenlehrer oder Vertrauenslehrer ansprechen! Das geht gar nicht. Lehrkräfte haben sicherlich die Aufgabe, die Leistungen der Schüler realistisch einzuschätzen, aber sie sollten auch positiv verstärken und nicht demütigen. Leider höre ich das immer wieder – allerdings nicht bei Unterricht, in dem mehrere pädagogische Kräfte eingesetzt werden.
In diesem Zusammenhang kämpfen wir vom Landeselternrat immer wieder darum, dass mehr Schülerfeedback eingeholt wird. Partizipation verbessert das Lernklima und auch die Leistungen der Schüler. Lehrer sollten sich auch mal der Kritik stellen, das kann auch per Computer mit wenig Aufwand und völlig anonym gemacht werden. Entsprechende Tools sind kostenlos vorhanden. Nach allen Erfahrungen sind die Ängste der Lehrkräfte unberechtigt, denn ihr Ansehen wird nicht verschlechtert, sondern verbessert.
Es gibt sie noch, die Pauker mit Herz, die Lehrer, die für ihren Beruf brennen. Anstatt immer nur zu meckern: Wie könnte man diesen Lehrern helfen, wie sie auf ihrem Weg bestärken?
Ich habe als Schulelternsprecher immer wieder Lehrkräfte mit besonderen Qualifikationen auf die Elternkonferenz gebeten. Auch in den Klassenelternversammlungen kann man diese Lehrkräfte besonders wertschätzen. Darüber hinaus engagiert sich der Landeselternrat auch in der Jury für den besten Lehrer Brandenburgs. Übrigens spielen hier auch die Schülerzeitschriften eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Auf vielen Internationals Schools im Ausland lernen die Kinder mit dem Notebook auf dem Tisch und mit dem iPad in der Hand. Hausaufgaben werden per Mausklick abgegeben, der Lehrer steht oft rund um die Uhr per Mail oder Chat für Nachfragen zur Verfügung. Warum klappt so etwas hier nicht?
Da heißt es dicke Bretter bohren. Ich habe einmal mehrere Monate gebraucht, um Kontakt mit einer Lehrerin aufzunehmen – und da war es dann bereits zu spät. Ich hoffe, dass die jungen nachwachsenden Lehrkräfte aufgeschlossener sind und wir dann in vielleicht zehn Jahren eine ganz andere Kommunikation zwischen den Beteiligten haben. Lehrkräfte müssen ähnlich den Ausbildern in der Wirtschaft ein anderes Rollenbild einnehmen. Weg von der allwissenden und allentscheidenden Instanz hin zum Lernbegleiter. Das erfordert natürlich auch kleinere Lerngruppen und es ist viel Arbeit damit verbunden, den jeweiligen Lernstand der Kinder zu kennen und die entscheidenden Impulse für den einzelnen zu geben, um sie voranbringen. Aber nach allgemeiner Erfahrung und auch nach den Studien von Hattie ist das der wichtigste Hebel für besseres Lernen. Die Ausstattung mit IT ist eine dringende Forderung der Elterngremien an die Politik. Hier muss entsprechend der Haushalt des Landes Investitionen vorsehen. Die Kommunen und Kreise, die als Schulträger ja in der Regel dafür zuständig sind, sind damit überfordert. Auch der Bund könnte hier helfen, wenn denn endlich das sogenannte Kooperationsverbot fällt oder die Länder entsprechend finanziell unterstützt werden.
Im Ausland ist Lernen oft extrem wichtig, gute Noten ehren die ganze Familie. In Deutschland ist Lernen meist eine Zumutung und ein lästiges Übel, das mit minimalem Einsatz begangen wird. Im Zeitalter der Globalisierung: Sind wir mit dieser Denkweise auf Dauer noch konkurrenzfähig auf dem späteren Arbeitsmarkt?
Es gibt Beispiele von sehr erfolgreichen Lehrkräften, die in der Lage sind, jedem Schüler mit den richtigen Impulsen zu einem optimalen Lernweg zu verhelfen. Es gibt auch Schulen, an denen Lernen Spaß macht und die ein gutes Klima haben. Man braucht sich z.B. nur die Preisträgerschulen und ihre Methoden und Besonderheiten anschauen. Wir sollten in Deutschland und Europa unseren eigenen Weg zur Verbesserung der Bildung finden. Eine Überstülpung asiatischer Verhältnisse mit enormen psychosozialen Folgen passt nicht in unsere Kultur. Das kreative und freie Denken und Forschen in unserer gymnasialen Oberstufe ist eine gute Grundlage für eine weiterhin erfolgreiche Wirtschaft. Das Büffeln von Kennzahlen und Anhäufung von Lehrbuchwissen ist keine Garantie für wirtschaftlichen Erfolg. Allerdings sehe ich in vielen Bereichen noch Verbesserungspotential. Beispiele:
Im 5. und 6. Schuljahr sind die Kinder im forschenden und experimentierfreudigen Alter. Das wird viel zu wenig in den Naturwissenschaften ausgenutzt.
Vergleichsarbeiten führen häufig zum „Learning for Test“. Es wird wieder mehr (kurzfristig) gepaukt und weniger (langfristig) gelernt.
Die 2-jährige Oberstufe führt dazu, dass viele Gymnasien für ihre Highlights kaum mehr Zeit haben: Theateraufführungen, Jugend forscht, Debattier- und andere nationale Wettbewerbe müssen aufgegeben werden oder finden nur noch eingeschränkt statt. Schade, denn das sind die Momente, wo Schüler sprunghaft ihre Kompetenzen verbessern und von denen sie ihr Leben lang was haben.
Wo kann ich mehr über die Arbeit des Landesrat der Eltern Brandenburg erfahren?
Auf der Homepage des LER, die ich pflege, werden zahlreiche Themen angeschnitten. Die Rubrik „LER in den Medien“ dokumentiert unsere Öffentlichkeitsarbeit sehr transparent. Unter „Nachrichten“ und „Themen“ finden Sie bildungspolitisches Hintergrundmaterial: www.landesrat-der-eltern-brandenburg.de.
Lieber Herr Seelbach: Haben Sie vielen Dank für das Interview. (Text:CS / Foto: PR Seelbach)